Aonogahara

© Slovenski Etnografski Muzej, Album Viljem Pečar

Liebe im Ersten Weltkrieg

Postkarte
Postkarte Karl Razenbergers an Anna Dücke aus Port Said, 1920 (Nachlass Erna Razenberger)


Herzliche Grüße aus Port-Said. Morgens um 10h voraussichtlich wieder in See. Nun auf ein baldiges ‚Wiedersehen‘!“ So lautet der Text einer Karte, die Karl Razenberger 1920 an seine spätere Ehefrau schickt. Allerdings hat er diese bis dahin noch nie gesehen. Doch wie kommt es dazu, dass er einer Unbekannten diese Nachricht zukommen lässt?  

Die Geschichte der besonderen Beziehung zwischen Karl Razenberger und Anna Dücke beginnt im Jahre 1913 in Triest. Da verlässt der Kreuzer SMS Kaiserin Elisabeth die wichtigste Hafenstadt der Habsburgermonarchie, um als „Stationsschiff“ Soldaten in die österreichischen Niederlassungen in China zu bringen. Mit an Bord ist Karl Razenberger, als so genannter Artillerieinstruktor. Es ist seine erste Reise nach Ostasien und er tritt sie mit rund 400 anderen Matrosen und Offiziere der k.u.k.-Kriegsmarine an. Was die Männer nicht ahnen ist, dass sie erst sieben Jahre später in ein völlig verändertes Europa zurückkehren werden. Zwischen Abreise und Rückkehr liegen der Erste Weltkrieg, eine jahrelange Kriegsgefangenschaft und der Zerfall der Donaumonarchie.

SMS Kaiserin Elisabeth
SMS Kaiserin Elisabeth, vor 1906
Die SMS Kaiserin Elisabeth gilt 1913 bereits als veraltet. Sie wurde 1892 als „Torpedorammkreuzer“ in Dienst gestellt. Bewaffnung und Geschwindigkeit sind jedoch zu gering, um es mit modernen Kriegsschiffen aufzunehmen. Doch für weite Seereisen eignet sich das Schiff noch immer. Also wird die Elisabeth – abwechselnd mit acht weiteren Schiffen – dazu verwendet, um den regelmäßigen Austausch von österreichischen Soldaten und Diplomaten in der Gesandtschaft in Peking und dem Pachtgebiet in Tientsin durchzuführen: Seit der Niederschlagung des Aufstands der chinesischen „Boxer“ im Jahr 1900, an der sich auch die Donaumonarchie beteiligt, hat Österreich-Ungarn südöstlich von Peking ein 62 Hektar großes Areal gepachtet. Diese „Konzession“ verschafft dem Habsburgerreich Zugang zu Chinesischen Absatzmärkten und vor allem das Prestige, eine „koloniale“ Großmacht zu sein.
 

Ausflüge in das Umland von Peking, 1913 (Slovenski Etnografski Muzej, Album Viljem Pečar)
Ausflüge in das Umland von Peking, 1913 (Slovenski Etnografski Muzej, Album Viljem Pečar)

Einer der Matrosen der k.u.k. Marine ist Johann Dücke. Er versieht als Steuergast (Steuermatrose) Dienst auf der SMS Kaiserin Elisabeth, die nach mehreren Zwischenstationen am 22. Juli 1914 Tsingtau erreicht. Die Hafenstadt wurde 1898 vom Deutschen Reich gepachtet und zum wichtigsten Flottenstützpunkt des Kaiserreiches ausgebaut. Von dort aus reisen die Soldaten per Bahn weiter nach Tientsin und Peking.
Wenige Tage nach der Ankunft des Schiffs in Tsingtau ereignet sich das Attentat von Sarajewo, dem der österreichische Thronfolger und seine Frau zum Opfer fallen und das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führt. Dieser erste globale Konflikt wird auch in Ostasien ausgetragen: Eine Armee aus japanischen und britischen Soldaten belagert Tsingtau. Die SMS Kaiserin Elisabeth und ein großer Teil ihrer Besatzung, die inzwischen in die Hafenstadt zurückkehrt ist, unterstützen die deutschen Bündnispartner beim Kampf gegen die Belagerer. Als die Munition aufgebraucht ist, erhält die Besatzung des Kreuzers den Befehl zur Versenkung des Schiffs. Wenige Tage später kapitulieren die Verteidiger der Stadt. Bei den Kämpfen fallen aufseiten der Mittelmächte 210 Soldaten. Zehn von ihnen sind Angehörige der k.u.k.-Kriegsmarine. Unter den Toten ist auch Johann Dücke.
 

Grabstätte Johann Dückes
Grabstätte Johann Dückes

Als seine Schwester Anna vom Tod Johann Dückes erfährt, versucht sie Informationen über seine Grabstätte (sh. links: Grabstätte Johann Dückes in Tsingtau, Nachlass Erna Razenberger) zu erhalten. Über die Vermittlung eines Priesters nimmt sie Kontakt zu Karl Razenberger, einem seiner ehemaligen Kameraden, auf. Dieser ist mittlerweile als Kriegsgefangener nach Japan gebracht worden, bemüht sich aber trotzdem, der jungen Frau zu helfen: Er holt Erkundigungen bei Personen ein, die in Tsingtau verblieben sind und leitet diese an Anna Dücke weiter.

 

Karl Razenberger
Abbildung rechts: Karl Razenberger in Kriegsgefangenschaft, 1919 (Nachlass Erna Razenberger)


Nach seiner Gefangennahme und dem Transport nach Japan, wird Karl Razenberger zuerst im Lager Kumamoto interniert. Im Juni 1915 wird er in das Lager Kurume verlegt und kommt schließlich im August 1918 nach Aonogahara, nahe der Stadt Kobe. Dort befinden sich die meisten der gefangengenommenen Besatzungsmitglieder von der SMS Kaiserin Elisabeth.

 

 

Lager Aonogahara
Plan des Lagers Aonogahara, gezeichnet von einem österreichischen Kriegsgefangenen, 1917 (Sammlung Leschnik)


Zwischen Anna Dücke und Karl Razenberger entsteht ein reger Briefwechsel. Ein ganzer Stapel Briefe und Postkarten hat sich im Besitz der Familie erhalten. Die Schriftstücke erzählen nicht nur von einer Brieffreundschaft, aus der sich langsam gegenseitige Anziehung und schließlich Liebe entwickelt. Sie dokumentieren darüber hinaus die Lebensumstände im Gefangenenlager.
In Aonogahara haben die Gefangenen vergleichsweise viele Freiheiten. Sie müssen keine Zwangsarbeit leisten. Zu ihren Verpflichtungen zählen die Morgen- und Abendappelle sowie für einzelne Gefangene Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung der Abläufe im Lager. Um ihre physische und psychische Gesundheit zu erhalten, treiben sie Sport, musizieren in Orchestern, singen in Chören, führen Theaterstücke auf und fertigen Kunst- und Handwerkserzeugnisse. Sie können Zeitungen und Bücher bestellen, widmen sich dem Kartenspiel oder dem Gemüseanbau.

Gefangene in Aonogahara
Die Gefangenen in Aonogahara hatten vor allem eines: Zeit (Nachlass Erna Razenberger)

Für das japanische Kaiserreich ist der Krieg nicht mit dem Waffenstillstand 1918, sondern erst mit dem Abschluss der Pariser Vorortverträge beendet. Daher wird erst am 1. Juli 1919 eine Siegesfeier abgehalten. Karl Razenberger schreibt dazu: „Liebes Annerl! Endlich ist Friede. Heute war in ganz Japan Siegesfeier. Nun dauert es hoffentlich nicht mehr allzulange. Sei herzlichst gegrüßt.“


Anna Dücke und Karl Razenberger
Anna Dücke und Karl Razenberger

Ab Dezember 1919 werden die Kriegsgefangenen aus Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich sechs Frachtschiffen nach Europa transportiert. Weil die Plätze an Bord der Schiffe äußerst begehrt sind, muss teilweise das Los entscheiden, welche der Gefangenen zuerst in die Heimat zurückkehren dürfen.
Am 28. Februar 1920 erreicht Karl Razenbergers Schiff nach einer 58-tägigen Reise Wilhelmshaven. Mit der Bahn kehren die Soldaten schließlich nach Österreich zurück. Die gegenseitige Anziehung zwischen Karl Razenberger und Anna Dücke (sh. Abbildung links, Nachlasse Erna Razenberger) vertieft sich auch in der Heimat: Die beiden heiraten. Ihre Nachkommen leben bis heute in Niederösterreich.
 

 


Literatur:     Donko, Wilhelm M.: Österreichs Kriegsmarine in Fernost (2013).
Donko, Wilhelm M.: Japan im Krieg gegen Österreich- Ungarn. Die k.u.k. Kriegsmarine im Kampf gegen Japans Streitkräfte in Ostasien und im Mittelmeer (2014).
Krasser, Jörg: K.u.K. in Ostasien 1900-1922 (2015).
Otsuru, Atsushi: Als in Kasai Kriegsgefangene lebten… (2017).
Pawlik, Georg/ Trulei, Oliver (Hg.): Die letzten Tage des Kreuzers Kaiserin Elisabeth in Tsingtau – Augenzeugen berichten (2017).


Text: Mag. Benedikt Vogl

Tipp: Noch bis zum 13. März 2020 ist in der Niederösterreichischen Landesbibliothek die vom Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich konzipierte Ausstellung „Aonogahara – Österreichische Kriegsgefangene in Japan 1914-1920“ zu sehen.

Ausstellungsansicht
Ausstellungsansicht: „Aonogahara – Österreichische Kriegsgefangene in Japan 1914-1920“ in der Niederösterreichischen Landesbibliothek (Foto: Christoph Fuchs)

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